Leichte Sprache
Gebärden­sprache
Ich wünsche eine Übersetzung in:

Fachtag Bildung all inclusive - vom Studium in die Gesellschaft wirken

Leichte Sprache
Gebärden­sprache
Ich wünsche eine Übersetzung in:

Am 08. September 2022 lud die Senatskoordinatorin zum Fachtag "Bildung all inclusive - vom Studium in die Gesellschaft wirken" auf dem Campus Lehre des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) ein. Gemeinsam mit Expert*innen aus dem Universitäts- und Hochschulbereich, der Politik und öffentlichen Verwaltung wurde darüber diskutiert, wie das Leitziel Inklusion durch Hochschulbildung in Hamburg konsequent weiterverfolgt und dauerhaft implementiert werden kann. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Katharina Fegebank, zweite Bürgermeisterin und Senatorin der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB). Besonderer Gast war der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel.

Fachtag Bildung all inclusive

Hintergrund

Hochschulen gestalten gesellschaftliche Denk-, Entscheidungs- und Handlungsprinzipien. Ihre Aufgabe geht damit weit über ihren primären Auftrag von Forschung und Lehre hinaus. Sie sind dazu da, Wissen und Kompetenzen zu vermitteln, damit aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen gemeistert und Teilhabe für alle Menschen ermöglicht werden können. Hochschulen übernehmen damit soziale Verantwortung und sind Motor für die Entwicklung unserer Gesellschaft.

Für Universitäten und Hochschulen heißt das, ihre Studierenden vorzubereiten und zu befähigen, Inklusion erlebbar und erfahrbar für sie zu machen, für die unterschiedlichen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren und von Expert*innen in eigener Sache zu lernen. Das Studium kann das Fundament für eine inklusive Führung bilden und so Chancengleichheit und Partizipation stärken!

Zahlreiche Hochschulen befassen sich bereits auf vielfältige Weise mit dem Themenfeld Inklusion. Wissenschaftler*innen forschen, lehren und betrachten die Herausforderungen und Chancen der Inklusion aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie folgen damit den Empfehlungen der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention, auch im Hochschulbereich die Menschenrechtsbildung systematisch zu verankern.

Damit Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Hochschulkontext gelingen kann, braucht es neben dem Rechtsanspruch unter anderem auch geeignete Strukturen, Verfahren und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung. Inklusion muss von allen Beteiligten geschätzt und gelebt werden oder wie es der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, formuliert hat: "Inklusion muss zum Leitbild einer Hochschule gehören und zur Chef*innensache gemacht werden. Nur wenn Universitäten inklusiv denken und barrierefrei sind, erfüllen sie die Mindeststandards einer modernen Bildungsstätte."

Am Beispiel der Disability Studies und dem Konzept Bildungsfachkräfte wurde mit den Teilnehmenden des Fachtags diskutiert, wie eine inklusive Hochschule in Hamburg gemeinsam vorangebracht werden kann.

Darstellung Programm/Ablauf des Fachtages


Disability Studies

Frau Prof. Dr. Swantje Köbsell (Uni Bremen) informierte die Teilnehmenden in ihrem Vortrag zunächst darüber, was Disability Studies sind, welche Bedeutung sie haben und warum es wichtig sei, Disability Studies an Hochschulen zu lehren. Anhand der Entstehungsgeschichte und verschiedener Modelle von Behinderung machte Prof. Dr. Köbsell deutlich, welchen Beitrag Disability Studies für einen gelingenden Inklusionsprozess leisten können.

Bei Disability Studies handelt es sich um eine inter- und multidisziplinäre sowie intersektionale wissenschaftliche Disziplin, die aus den politischen Behindertenbewegungen (UK/USA) entstanden ist und sich als Kritik an der traditionellen Sicht von Behinderung versteht. Prof. Dr. Köbsell machte deutlich, dass Disability Studies jedoch nichts mit den „klassischen“ Behinderungswissenschaften zu tun haben, sondern sich als fundamentale Kritik an diesem klassischen Verständnis verstehen. Disability Studies befassen sich mit der Abweichung von altersbezogenen Normalitätsanforderungen einer Gesellschaft im Sinne eines „spannungsreichen Wechselverhältnis zwischen „Normalität“ und einem spezifischen Typus von „Anderssein“ (Karim/Waldschmidt 2019, 271). Es betrifft etwa 10-15% der Bevölkerung in unterschiedlichsten Ausprägungen, wobei die Grenzen fließend sind, da Menschen im Laufe ihres Lebens körperliche und kognitive Einschränkungen erwerben können.

Laut der Arbeitsgemeinschaft für Disability Studies (AGDS) schreitet die institutionelle Etablierung von Disability Studies in Deutschland bisher nicht so schnell voran wie im englischsprachigen Raum. Entstanden sind mehrere Professuren und Institute in Deutschland und Österreich mit direktem oder indirektem Bezug auf Disability Studies. Derzeit gibt es in Deutschland noch keinen eigenen Abschluss in Disability Studies, Disability Studies sind jedoch Bestandteil verschiedener Studiengänge im Bereich der Sozial-, Kultur-, Geschichts-, Erziehungs- und Literaturwissenschaften.

Wie ein Studiengang Disability Studies in der Praxis umgesetzt und gestaltet werden kann, erfuhren die Teilnehmenden von Prof. Dr. Dungs von der FH Kärnten. An der FH Kärnten können Studierende den Bachelor-Studiengang „Disability & Diversity Studies“ und Master-Studiengang „Disability, Diversity & Digitalisierung“ absolvieren.

Zu den besonderen Elementen des Bachelorstudiengangs zählt eine praxisorientierte Lehre auf Basis von Interdisziplinarität. Der Studiengang berücksichtigt ferner intersektionale Perspektiven und sieht eine thematische Verschränkung von Disability und Diversity Studies vor. Zu den Wahlpflichtfächern zählen „Disability, Diversity und Technik“ sowie „Disability Care“. Im Rahmen des Studiums sind Praxiskooperationen, u.a. mit Abteilungen des Diversity-Managements verschiedener Unternehmen, vorgesehen.

Mit dem Masterstudiengang erwerben die Teilnehmenden den akademischen Grad Master of Arts in Social Sciences. Der berufsbegleitende Masterstudiengang legt einen Schwerpunkt auf die Verschränkung von digitalen Grundlagen und Kompetenzen mit sozialwissenschaftlich-reflexiver und ethischer Expertise. Im Fokus steht dabei eine nutzer*innenzentrierte Entwicklung innovativer digitaler Lösungen und Assistenzsysteme. Wahlpflichtfächer sind u.a. Disability, Diversity & Digitalisierung im demografischen Wandel sowie Disability, Diversity & Digitalisierung in Organisationen und Unternehmen

Weiterführende Informationen zum Bachelor- und Master-Studiengang an der FH Kärnten finden Sie über die nachfolgenden Links:

Die Präsentationen von Prof. Dr. Köbsell und Prof. Dr. Dungs stehen Ihnen nachfolgend als Download zur Verfügung.

Im Rahmen eines World-Cafés setzten sich die Teilnehmenden am Nachmittag vertiefend mit dem Thema Disability Studies auseinander. Hierbei wurden die folgenden drei Fragestellungen diskutiert:

Gibt es einen Mehrwert und welches Entwicklungsversprechen hätten Disability Studies für Absolvent*innen unterschiedlicher Studiengänge?

Ob und welchen Mehrwert bzw. welches Entwicklungsversprechen Disability Studies für Absolvent*innen hätten, könne nicht per se formuliert, sondern müsse evaluiert werden. Mit den notwendigen Mitteln wäre mit einer Evaluation zwar zu überprüfen, ob Disability Studies bei Absolvent*innen zu einer angestrebten inklusiven Haltung geführt habe – wie sich diese Haltung zeigt, welche Wirkung sie entfaltet und wie lange sie anhält, könne nach Auffassung der Teilnehmenden, ähnlich wie in anderen Disziplinen, dennoch nie im vollem Umfang gemessen werden. Die Teilnehmenden waren sich jedoch darin einig, dass Disability Studies mit ihrem interdisziplinären Ansatz den notwendigen Perspektivwechsel auf Behinderung ermöglichen und somit eine Voraussetzung für den normativen Anspruch auf Partizipation aller Menschen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen darstellen würde. Indem Disability Studies dem menschenrechtsbasierten und partizipativen Leitmotiv der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie dem Intersektionalitätsgedanken folgt, würde mit Disability Studies ein wesentlicher Beitrag zum Inklusionsprozess geleistet werden. Fragen wie „Warum werden Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt?“, „Warum sind die Strukturen so gewachsen, wie sie gewachsen sind?“ oder „Wie können Strukturen verändert und damit Inklusion in den Köpfen verankert werden?“ seien hier nur als Beispiel-Leitfragen genannt.

Aus Sicht der Teilnehmenden bedarf es hierfür jedoch einer Sichtbarkeit von Disability Studies im Hochschulbereich. Diskutiert wurde darüber, wo die Disability Studies in Hamburg institutionell angedockt werden könnten. Als Beispiel wurde das Zentrum für Gender & Diversity (ZGD) genannt. Innerhalb der Diskussion wurde das Bestreben deutlich, Disability Studies hochschulübergreifend in Hamburg zu implementieren und als wissenschaftliche Disziplin anzuerkennen.

Nicht selten würden Disability Studies als Betroffenen-Wissenschaft abgetan werden. Prof. Dr. Köbsell wies jedoch darauf hin, dass durch öffentliche Diskurse zu Themen wie Triage und Ableismus oder durch Publikationen, wie der Zeitschrift für Disability Studies (ZDS), zunehmend eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erfolge.

Welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden, um Disability Studies in Hamburger Hochschulen dauerhaft zu implementieren?

Wesentliche Voraussetzungen für eine Implementierung von Disability Studies in Hamburg sei nach Auffassung der Teilnehmenden eine nachhaltige Finanzierung und ein unbefristetes Stellenangebot. Inklusion dürfe nicht nur auf der Ebene der Studierenden diskutiert werden, wie es häufig der Fall sei. Vielmehr seien Fragen zu Lehre und Forschung mindestens genauso relevant. Aus Sicht der Teilnehmenden sollte es daher selbstverständlich sein, dass Menschen mit Beeinträchtigung selbst in der Lehre und Forschung tätig sind.  Die Teilnehmenden waren sich einig, dass man auch für diesen Personenkreis entsprechende Stellen schaffen müsse.

Neben Möglichkeiten der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Lehre, Forschung und Studium wurde über den Ort der Verankerung der Disability Studies in Hamburg diskutiert. Insbesondere Fragen wie „Wo sollen Disability Studies/die Lehrveranstaltungen stattfinden?“ oder „Sprechen wir von einem fachübergreifenden Angebot, von einem Wahlpflichtbereich (Studium-Generale), von einem eigenen Studienangebot oder von fachspezifischen Angeboten?“ standen dabei im Mittelpunkt der Diskussion.

Die Teilnehmenden waren sich darin einig, dass man die bestehenden Strukturen der jeweiligen Hochschulen berücksichtigen müsse. Ein Blick auf bspw. Stellenpläne, Eingruppierungen und Wirtschaftspläne seien notwendig, um gemeinsam mit den Hochschulen die Möglichkeiten auszuloten und die notwendigen Voraussetzungen schaffen zu können.

Die unterschiedlichen Organisationsvarianten wurden von den Teilnehmenden nicht abschließend diskutiert. Einigkeit bestand aber darüber, dass die Ansätze nicht konkurrieren, sondern sich gegenseitig ergänzen. Es bedarf daher keiner Entscheidung für eine bestimmte Organisationsform, vielmehr könne man alle Ansätze verfolgen. Darüber hinaus war es den Teilnehmenden wichtig, Lehre fest im Curriculum von Disability Studies zu verankern. Hierfür brauche es personelle Kontinuität, die unbefristete Stellen voraussetze. Ein weiteres Anliegen der Teilnehmenden war die Ermöglichung einer Hochschulzugangsberechtigung auch ohne Studium und der Abbau von Bildungsbarrieren.

Wie können die Wirkungen von Disability Studies auf die Inklusion in Hamburg evaluiert werden?

Zentraler Gegenstand der Diskussion war hier die Frage, warum überhaupt evaluiert werden müsse. Warum werden andere Forschungsbereiche als selbstverständlich anerkannt, während die Notwendigkeit der Disability Studies immer wieder hinterfragt werde? Die Teilnehmenden diskutierten darüber, wie eine Evaluation aussehen könnte - kurzum: Was soll wie gemessen werden?

Die Teilnehmenden waren sich darin einig, dass das Ziel einer Evaluation nicht die Darstellung der Sinnhaftigkeit von Disability Studies sein könne. Vielmehr gehe es darum, die Intersektionalität der Disability Studies als Evaluationsgegenstand in den Blick zu nehmen.

Betroffene Wissenschaftler*innen als (Co-)Auftraggeber*innen von entsprechenden Evaluationen erachteten die Teilnehmenden als eine wesentliche Voraussetzung, um mit Hilfe einer inputorientierten Evaluation aufzeigen zu können, welche Mittel im Hinblick auf die Zielerreichung angemessen seien. Die Teilnehmenden schlugen vor, die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) als Maßstab für eine wertgebundene Definition der Evaluations-Ziele zu nutzen.

Die Frage, wen eine Evaluation zu Wort kommen lässt bzw. wen sie zählt, wurde in der Diskussion dahingehend beantwortet, dass sich eine Evaluation im tertiären Bildungssektor (Hochschulen und Universitäten) durch Inter- und Transdisziplinarität auszeichnen müsse. Demnach müsse über den tertiären Bereich hinausgegangen werden, auch wenn dies zunächst sowohl paradox, als auch unpraktikabel klingen möge.

Die Teilnehmenden wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei Disability Studies um ein studienübergreifendes, interdisziplinäres Querschnittsprogramm handle. Dieses verweise auf den gesellschaftlichen Rahmen, in den es eingebettet sei und welches es zu reformieren gelte. Vor diesem Hintergrund sollte auch dieser gesellschaftliche Rahmen innerhalb einer Evaluation mit einbezogen werden. Das damit verbundene komplexe Zusammenspiel zwischen individuellen und strukturellen Ebenen stelle potentielle Evaluationen vor große Herausforderungen. Dies betreffe insbesondere den Umfang der Daten, die Vielzahl der Stakeholder und ein geringes Maß an möglicher Kontrolle über den Evaluationsgegenstand sowie die Zuschreibung von Ursachen für ein bestimmtes Verhalten.

Bildungsfachkräfte

Als erstes Bundesland wurde in Schleswig-Holstein ein Institut für Inklusive Bildung gegründet, an dem Menschen mit Behinderungen, die vormals in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen gearbeitet haben, als Bildungsfachkräfte qualifiziert werden. Im Anschluss an die Qualifizierung werden sie als Lehrende an der Universität tätig und erhalten damit einen unbefristeten Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt. Bildungsfachkräfte vermitteln den Studierenden sowie Lehr-, Fach- und Führungskräften wie Inklusion praktisch funktioniert. In Seminaren in ganzer Semesterlänge, Workshops, Vorlesungssitzungen und Konferenzbeiträgen vermitteln sie ihre Lebenswelten, spezifische Bedarfe und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe und aus erster Hand.

Gesa Kobs, Geschäftsführerin des Instituts für Inklusive Bildung Kiel, stellte den Teilnehmenden die Qualifizierungsmaßnahme zu Bildungsfachkräften vor. Hierfür wurde auf die Entstehungsgeschichte des Instituts eingegangen, das Konzept und die Arbeit der Bildungsfachkräfte vorgestellt und die Wirkung von Bildungsfachkräften auf den Inklusionsprozess verdeutlicht. Wer sich hinter den Bildungsfachkräften verbirgt und wie ihre Arbeit konkret aussieht, konnten die Teilnehmenden im Rahmen einer Kurzvorlesung mit Marco Reschat und Laura Schwörer erleben. Beide haben die Qualifizierung zur Bildungsfachkraft erfolgreich abgeschlossen und sind als Lehrende an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel tätig.

Weiterführende Informationen zum Institut für Inklusive Bildung Kiel und zum Thema Bildungsfachkräfte finden Sie über die nachfolgenden Links:

Die Präsentation vom Institut für Inklusive Bildung und den Bildungsfachkräften steht Ihnen nachfolgend als Download zur Verfügung.

Am Nachmittag hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich vertiefend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Im Wesentlichen wurden hier Fragen zur Zielgruppe der Qualifizierungsmaßnahme, zur Qualifizierungsmaßnahme selbst, zur praktischen Arbeit der Bildungsfachkräfte und zur Wirkung des Instituts für Inklusive Bildung diskutiert und gemeinsam erörtert.


Themenübersicht auf hamburg.de