Warum können Vögel Glas nicht wahrnehmen?
Vögel sind Meister der Optik und orientieren sich vor allem mit den Augen. Auch wenn sie dabei uns Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen sind – etwa bei der Wahrnehmung von UV-Licht, hat ihnen die Natur leider einige Handicaps mitgegeben, die ihr Überleben in unserer modernen Welt erschweren. So können Vögel etwa sehr schlecht stereoskopisch sehen, da ihre Augen seitlich am Kopf und nicht vorne nebeneinander, wie bei uns Menschen sitzen. Das heißt, dass Vögel nur eine eingeschränkte räumliche Wahrnehmung haben. In der freien Natur kommt Glas nicht vor, deshalb konnte die Evolution Vögel auf Glasscheiben und die von diesen ausgehenden Gefahren nicht vorbereiten. Vögel können deshalb weder erkennen, dass sie durch eine Glasscheibe durchschauen oder eine Spiegelung in einer Glasscheibe sehen. Ein Vogel sieht immer nur den dahinterliegenden Baum oder den sich spiegelnden Himmel. Zusammen mit häufig hohen Fluggeschwindigkeiten und einem fragilen Körperbau führt dies nach Schätzungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten zu jährlich bis zu 115 Millionen mit Glas kollidierten Vögel deutschlandweit. Fünf bis zehn Prozent aller Vogelindividuen sterben jährlich durch Vogelschlag an Glasflächen in Deutschland (Berichte zum Vogelschutz auf berlin.de).
Zugvögel besonders gefährdet
Betroffen sind dabei nicht nur unsere heimischen Brutvögel, sondern auch Zugvögel, weil sie durch Beleuchtung angezogen werden können und dann durch Erschöpfung oder durch Kollision mit den beleuchteten Objekten sterben. Untersuchungen in Berlin haben beispielsweise gezeigt, dass dort jährlich die zehnfache Zahl des Brutbestandes an Waldschnepfen mit Glasflächen tödlich kollidiert. Durch Glas sind also auch Brutpopulationen außerhalb Deutschlands empfindlich betroffen. Das ist insbesondere für Hamburg von Bedeutung, da die Hansestadt im Knotenpunkt skandinavischer Zugvogelrouten über Norddeutschland liegt und zweimal im Jahr tausende Vögel das Stadtgebiet queren müssen.
Welche Situationen sind für Vögel gefährlich?
Hauptsächlich zwei Situationen sind für Vögel gefährlich: Durchsicht und Spiegelungen.
Bei Durchsicht können Vögel durch Glas hindurchsehen die dahinter für sie interessanten Lebensräume wahrnehmen. Dies können Wiesen, Gebüsche, Bäume, Gewässer oder auch nur der freie Himmel sein. Durchsicht entsteht klassisch durch freistehende Glaselemente, etwa Lärmschutzwände, Windfänge, Balkonbrüstungen, Glaskorridore zwischen Gebäudeteilen, Wintergärten oder durch verglaste Ecken an Gebäuden. Hier können Vögel das Hindernis im Flug nicht erkennen und es kommt zu Vogelschlag.
Ähnlich gefährlich sind Spiegelungen. Moderne Glasscheiben sind immer häufiger stark verspiegelt, etwa um Sonneneinstrahlung zu reflektieren und so Energie für Kühlung zu sparen. Dies führt aber auch dazu, dass sich die Umgebung selbst für menschliche Augen schon fast fotorealistisch in den Scheiben spiegelt. Aufgrund ihrer eingeschränkten räumlichen Wahrnehmung und dem mangelnden kognitiven Verständnis für Glas können Vögel diese Spiegelungen als Illusion nicht erkennen. Ein gespiegelter Baum sieht für einen Vogel wie ein echter Baum aus, den er anfliegt – der Anflugversuch endet dann meist tödlich, sogenannter Vogelschlag.
Ein weiterer Faktor - in Teilen unabhängig von Glas - ist auch Licht: Starke Lichtemissionen wirken nach dem derzeitigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse auf ziehende Vögel irritierend beziehungsweise anziehend. Dies betrifft besonders starke Strahler, wie Skybeamer, aber auch stark leuchtende Gebäude (auch durch größere Fensterflächen) die über die allgemeine Stadtsilhouette hinausragen oder an besonders exponierten Lagen stehen, etwa an Gewässern, in Randlagen, auf Anhöhen. Wetterlagen mit schlechter Sicht verstärken das Problem zusätzlich. Zugvögel orientieren sich normalerweise an sehr schwachen Lichtquellen, wie Sternenlicht und an ihrem Magnetkompass. Es scheint so zu sein, dass die Tiere durch starkes Licht wie geblendet orientierungslos werden und in Folge auf die Lichtquelle zu fliegen und kollidieren können oder diese bis zur Erschöpfung umkreisen können. Wenn sie nicht verenden, verlieren sie in jedem Fall für den Zug benötigte, wertvolle Energie.
Vogelschlag an Glas und Naturschutzrecht
Durch die europäische Vogelschutzrichtlinie und das Bundesnaturschutzgesetz unterliegen alle europäischen Vogelarten einem besonderen Schutz in Deutschland. Insbesondere das Artenschutzrecht kommt hier zum Tragen: Wenn durch die Größe von Glasflächen und die Nähe dieser zu Vegetation zu erwarten ist, dass signifikant mehr Vögel an den Glasflächen durch Vogelschlag sterben, als in der „Normallandschaft“ (wozu etwa auch die übliche Bebauung mit mit normal großen Fenstern (Lochfassaden) gehört), dann greift der Artenschutz nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Aber auch im Sinne der Eingriffsregelung nach § 13 ff muss in der Regel durch den Einsatz von Glas von einer Eingriffshandlung ausgegangen werden, wie auch insgesamt das europäische Naturschutzrecht Natura 2000 nach § 34 BNatSchG betroffen sein kann. Ein Fachpapier der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (Vermeidung von Vogelverlusten an Glasscheiben, Bewertung des Vogelschlagrisikos an Glas, siehe Downloads unten) hilft bei der Einschätzung, ob durch geplante oder vorhandene Glasflächen Naturschutzrecht berührt ist. Die Anwendung des Fachpapiers wurde im Frühjahr 2021 durch die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) für alle Bau- und Planverfahren empfohlen und durch die Umweltministerkonferenz zur Kenntnis genommen (Umlaufbeschluss auf umweltministerkonferenz.de).
Wirksame Maßnahmen gegen Vogelschlag an Glas
Die Regelungen des Naturschutzrechts sind nun nicht das Ende für den Einsatz von Glasflächen – vielmehr erwächst aus diesen Regelungen zum Schutz unserer Vögel die Verpflichtung Maßnahmen zur Reduktion der Glasgefahren zu ergreifen. Meistens gibt es viele und einfache Methoden, um das Risiko für Vogelschlag deutlich zu reduzieren.
In verschiedenen Tests – u.a. in der Biologischen Station Hohenau-Ringelsdorf – haben sich eine Vielzahl von Markierungen als hoch wirksam gegen Vogelschlag erwiesen: Punkte, Streifen, Raster oder andere deckende Muster machen die Glasflächen für das Vogelauge erkennbar. Eine Faustregel ist, dass zwischen den Musterteilen keine Freiflächen erkennbar sein dürfen, die größer als eine Handinnenfläche sind und dass die Muster einen guten Kontrast zur Glasscheibe bzw. zum Hintergrund aufweisen. Weitere Hinweise zu Mustern sind den Leitfäden unter den Downloads zu entnehmen.
Weitere Möglichkeiten zur Vermeidung von Vogelschlag sind der Einsatz von transluzenten oder mattierten Glasflächen, wie Pressglas, Glasbausteine oder andere halbtransparente Materialien einzusetzen. Dies bietet sich insbesondere dort an, wo zwar Licht durchgelassen werden soll, aber eine Durchsicht für Menschen nicht entscheidend ist, etwa bei Windschutzwänden oder Balkonbrüstungen. Diese dürfen jedoch nach außen nicht spiegelnd wirken.
Auch vor Glasflächen angebrachte Elemente – etwa zur Beschattung – wie festinstallierte Jalousien, Lamellen oder ähnliche Sonnenschutzsysteme können ein sinnvoller Beitrag zum Vogelschutz an Gebäuden sein, da auch sie den direkten Anflug auf Glasflächen verhindern oder die Glasflächen erkennbar machen. Metallelemente und Drahtgeflechte können von Vögeln in der Regel gut wahrgenommen werden, wenn sie nicht poliert sind und damit nicht spiegeln.
Ähnliche Effekte wie Sonnenschutzsysteme kann man auch mit intensiv eingefärbten Gläsern erreichen, die Durchsichten und Spiegelungen verhindern. Der Einsatz von reflexionsarmem Glas ist zwar hilfreich, aber alleine nicht ausreichend, sondern muss immer mit Markierungen, Sonnenschutzsystemen, o.ä. kombiniert werden.
Natürlich sind auch bauliche Anpassungen an Gebäuden möglich, die Durchsichten direkt vermeiden, indem an verglasten Ecken oder auf freistehende Glasflächen verzichtet wird.
Vogelfreundliches Glas frühzeitig in Planung beachten
Im Download-Bereich findet sich eine Zusammenstellung von Leitfäden und Checklisten für Planungen – je früher der Aspekt beachtet wird, umso einfacher und kostengünstiger kann Vogelschlag vermieden werden. Die Naturschutzabteilung und die Staatliche Vogelschutzwarte in der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft berät gerne auch schon in frühen Planungsphasen, wie ein Projekt so gestaltet werden kann, dass Vogelschlag an Glas weitestgehend vermieden wird. So lassen sich nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt und den geplanten Projektablauf reduzieren.