Hamburger Frauenbiografien

Frauenbios

Dore Hoyer

(12.12.1911 Dresden – 30.12.1967 Berlin)
Choreographin, Ballettmeisterin und Tänzerin
Dammtorstraße 28, Hamburgische Staatsoper (Wirkungsstätte)
Bestattet auf dem Frankfurter Hauptfriedhof
„Ich war gerade 18 Jahre alt, als ich in Dresden die damals bedeutendsten Vertreter der großen Tanzkunst sah (...). Dann sah ich Mary Wigmans ‚Visionen‘ – ich sehe sie heute noch ... Was ich erlebte, war die Erfüllung eines neuen Kunstschaffens im Reich des Tanzes, Mary Wigman hat kraft ihres Schöpfertums als erste Tänzerin nach dem Kriege 1914/18 vermocht, die süß erstarrte Ballettomanenwelt in den Schatten zu stellen (...). Die brennende Aussagekraft dieser Kunst berührte mich wie eine Muttersprache. Das war, so empfand ich, die Sprache des Abendländers, der Appell an die westliche Welt (...). Man hat mich oft als Mary Wigmans geistige Erbin bezeichnet. Ohne ihre direkte Schülerin zu sein – ich studierte u. a. bei der Palucca –, fühle ich mich mit ihr in einem ganz bestimmten Punkte verwandt: in dem des kämpferischen Willens zur Aussage meiner Zeit, wie Mary Wigmans Kunst die Aussage ihrer Zeit war.“ [1] So umriss Dore Hoyer 1951 in ihrer Rede anlässlich des 65. Geburtstages von Mary Wigman, deren Tanztruppe sie 1935/36 angehört und deren Schule sie 1945 in Dresden übernommen hatte, ihre geistige Herkunft. Unter der Fragestellung „Warum moderner Ausdruckstanz“ hatte sie 1948 in einem Artikel im Almanach „Theaterstadt Berlin“ formuliert, worin sie die Bedeutung der modernen Tanzkunst für die Zukunft sah und wie ihre Überzeugungen zu verwirklichen seien: „Warum moderne Tanzkunst?! Warum die Notwendigkeit moderner Tanzschulen?! – Weil wir zwei Weltkriege hinter uns haben – weil wir noch einmal davon gekommen sind und weil wir verhindern wollen, daß die tänzerische Ausbildung des Nachwuchs weiter im Sinne eines fast militärischen Drills vor sich geht. (...) Schaffen wir moderne Tanzschulen, die die Erziehung zur technischen Präzision, wie es das klassische Ballett aufweist, übernehmen, die aber auch die individuelle Veranlagung des einzelnen erkennen und fördern. Pflege des Handwerks und der Persönlichkeit muß Hand in Hand gehen! (...) Vergessen wir nicht über der Frage nach dem Stil die weitaus wichtigere Forderung: die nach Tanzwerken, welche Ergebnis und Niederschlag unserer Zeit, Mahnung, Aufruf und Wegweiser in unsere Zukunft sind – und nach Tanzmeistern, die sie realisieren und ihnen gültige Form und Gestaltung verleihen können.“ [1]
Als Dore Hoyer ihre Ballettschule aus finanziellen Gründen aufgeben musste, holte der Intendant Günther Rennert sie 1949 als Ballettmeisterin nach Hamburg. Bitterkeit der Themen und schneidende Schärfe des Ausdrucks zeichneten ihren Tanz aus. „Gezeichnet von den Visionen, die ihr die Abgründe der Seele öffneten, trug sie diese Schrecknisse in Gestaltungen von zwanghafter Konsequenz und bohrender Eindringlichkeit aus. Sie wollte aufrütteln, entlarven, den Menschen in Frage stellen. Nichts war erdacht, alles war erlebt und erlitten (...). Die Motorik eines Strawinskij-Concerto deutete sie als ‚Vision‘ ins Aggressive, den Bolero Ravels, ihren schon berühmten Drehtanz, wandelte sie in ‚Anfang und Ende‘ zu einem Roboter-Greuel des Maschinenzeitalters ab, bei dem sie auf hohem Podest ihren endlosen Wirbel drehte.“ 3) Nach zwei Jahren verließ Dore Hoyer die Hansestadt. Ihre Enttäuschung mit dem modernen Tanz das Publikum nicht zu erreichen, wuchs. Sie machte Tourneen durch die ganze Welt. Als sie wegen eines verbrauchten Knies nicht mehr tanzen konnte, setzte sie ihrem Leben 1967 ein Ende. „(...) Wenn ich einmal nicht mehr tanzen kann, will ich auch nicht mehr leben. Dieser Ausspruch stand von Anfang an über Deinem tänzerischen Schaffen“, schrieb Mary Wigman in ihrem Nachruf.
Vor ihrem Tod hatte Dore Hoyer noch erfahren, dass sie den Kritikerpreis, den sie bereits 1951 erhalten hatte, 1967 noch einmal bekommen würde. In der Begründung heißt es: „Mit Dore Hoyer ist die letzte aktive große Ausdruckstänzerin von der deutschen Tanzbühne verschwunden. Sie allein konnte als Nachfolgerin von Mary Wigman gelten und hat den ‚German dance‘ durch ihre einsame Originalität noch einmal bestätigt und aus der heutigen choreographischen Konvention herausgehoben. Das Bewegungskunstwerk Dore Hoyer hatte sich zuletzt dem statuarischen angenähert und kann als absolute Entsprechung zur modernen Bildenden Kunst angesehen werden. Sie war als Meisterin anerkannt und erreichte doch keine materiellen Erfolge. Ihre selbstzerstörerische Existenz steht für das Schicksal des kompromisslosen Künstlers in dieser Zeit.“
Text: Brita Reimers
Zitate:
1 Tanzdrama, 17 1991.
 

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