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Willi Gerckens

(1.11.1895 Hummelsbüttel - ?)
Bürgermeister von Hummelsbüttel, Ortsgruppenamtsleiter der NSV, Ortsgruppenleiter der NSDAP Hummelsbüttel
Gerckensplatz , Hummelsbüttel (1970): nach der Hummelsbüttler Bauernfamilie. Aus ihr entstammte der letzte Landwirt aus Hummelsbüttel, Willi Gerckens

Willi Gerckens war der Sohn des Halbhufners Hermann Friedrich Gerckens (1865-1903) und dessen Ehefrau Angelique Bernhardine Theodora Gerckens, geborene Mohr, Tochter eines Lehrers und geboren 1866. Einer ihrer Söhne war der Landwirt und Bürgermeister von Hummelsbüttel Hans
Willi Gerckens war seit 1923 mit Paula Margaretha Harder geheiratet. 1) Er hatte den elterlichen Hof 1938 übernommen.

Von 1921 bis 1933 war Willi Gerckens Vertrauensmann des Schleswig- Holsteinischen Bauernvereins. In der NS-Diktatur übte er von 1933 bis 1945 das Amt des Ortsbauernführers aus.2)
Im Februar 1932 war Willi Gerckens Mitglied der NSDAP geworden (Mitgliedsnummer: 960057) und blieb dies bis Kriegsende 1945.

Von 1933 bis zur Eingemeindung Hummelsbüttels in Hamburg fungierte Willi Gerckens als ehrenamtlicher Bürgermeister für Hummelsbüttel. 3)

Von 1933 bis 1945 war Willi Gerckens zudem Mitglied der NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge). Dort bekleidete er das Amt des Ortsgruppenamtsleiters. Die NSV war mit „17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…) NS-Massenorganisation. (…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…).“4)

Außerdem war Willi Gerckens von 1935 bis 1945 Mitglied der DAF (Deutschen Arbeitsfront). Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1935 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband „mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen‘ konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat.soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken.“5)

Auch war Willi Gerckens von 1935 bis 1945 Mitglied im Reichskolonialbund und von 1934 bis 1945 im Reichsluftschutzbund. Und er war 1925 in den Kyffhäuserbund eingetreten, der in der NS-Zeit in den Reichskriegerbund übernommen worden war.

Für seine 10-jährige Mitgliedschaft in der NSDAP erhielt Willi Gerckens das Ehrenzeichen der NSDAP überreicht.

Ab dem 1. Juni 1940 wurde Willi Gerckens Kriegsvertreter des zur Wehrmacht einberufenen Ortsgruppenleiters der NSDAP in Hummelsbüttel. Dieses Amt bekleidete er bis Kriegsende 1945. 6)
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war Willi Gerckens von 1945 bis 1948 in Hamburg interniert. Im Rahmen der Internierung wurde Willi Gerckens angeklagt und ihm der Prozess gemacht. In dem Urteil heißt es u. a. über Willi Gerckens NS-Aktivitäten: „Als Kriegsvertreter des Ortsgruppenleiters gehört der Angeklagte zur Gruppe A 4 (…) der Militärregierung. Der Angeklagte ist beschuldigt, während seiner Zugehörigkeit zum politischen Führerkorps gewusst zu haben, dass diese Organisation zu Handlungen verwendet wurde, die gemäss Art. 6 des Statuts des Internationalen Militärgerichts für verbrecherisch erklärt sind (…).

Auf dem Gebiete der Judenverfolgung während des Krieges war dem Angeklagten lediglich die Kenntnis vom Zwang der Juden zum Tragen des Davidsterns nachzuweisen. Hierbei handelt es sich aber um eine staatliche oder polizeiliche Massnahme.

Dass dem Angeklagten Tatsachen über eine Mitverantwortlichkeit des politischen Führerkorps für diese Massnahme bekannt waren, liess sich nicht feststellen. Das Leugnen einer entsprechenden Kenntnis seitens des Angeklagten erscheint bei seinem offensichtlich geringen Intelligenzgrad, bei der abseitigen Lage seiner Ortsgruppe und angesichts der Tatsache, dass der einzige dort seit 1942 wohnende Jude unbehelligt geblieben ist (…) nicht unglaubwürdig.

Dass es Konzentrationslager gab und Personen, die sich ‚staatsfeindlich‘ betätigt hatten, dort festgehalten wurden, gibt der Angeklagte zu, gewusst zu haben.

Dem bestreitenden Angeklagten war aber nicht nachzuweisen, dass er von der Mitwirkung des politischen Führerkorps bei der Verfolgung politischer Gegner, insbesondere von der Pflicht der politischen Leiter zur politischen Ueberwachung der Bevölkerung und zur Weitergabe von Anzeigen über politische Verfehlungen an den Kreisleiter sowie von der Zusammenarbeit der Kreisleitung mit der Gestapo Kenntnis gehabt hat.

Die Erfahrung, dass die Ortsgruppenleiter diese Tatsachen im allgemeinen kannten, genügte dem Gericht angesichts der Persönlichkeit des Angeklagten und der oben erwähnten besonderen Verhältnisse nicht, um eine entsprechende Feststellung bei dem Angeklagten zu treffen.“ 7)
Willi Gerckens wurde von der Spruchkammer Bielefeld freigesprochen. Als Entlastungspunkte wurden auch die Leumundszeugnisse - im „Volksmund“ als „Persilscheine“ bezeichnet -, die Willi Gerckens beigebracht hatte, berücksichtigt.  

Seinen 1932 erfolgten Eintritt in die NSDAP begründet Willi Gerckens „mit der damals katastrophalen wirtschaftlichen Notlage, insbesondere der Landwirtschaft. Er war seiner Zeit von dem propagandistischen Wirken der NSDAP beeindruckt worden, die eine allgemeine Besserung der sozialen Verhältnisse, jedem sein Recht auf Arbeit und der Früchte seiner Arbeit versprach, und vor allem, was Herrn Gerckens als Landwirt am meisten ansprach, der Landwirtschaft ein besonderes Lebensrecht zusicherte. (…).“ 8)

Abschließend heißt es im „Fragebogen Action Sheet“ des Entnazifizierungsverfahrens, Bericht des Beratenden Ausschusses: „Gerckens ist anzusehen aufgrund seiner Tätigkeit als Ortsgruppenleiter und Ortsgruppenamtsleiter als Aktivist: Nicht tragbar in leitenden Stellungen der Behörde und der Wirtschaft“ (31.5.1948) 9)

Der Fachausschuss im Entnazifizierungsverfahren entschied hingegen: „tragbar für die bäuerliche Selbstverwaltung. Keine Konten- und Vermögenssperre, keine Geldbuße. (26.12.1948).“ 10)
Einstufung in Kategorie IV. Siehe dazu unter: Holsteinischen Bauernvereins. In der NS-Diktatur übte er von 1933 bis 1945 das Amt des Ortsbauernführers aus.2) Im Februar 1932 war Willi Gerckens Mitglied der NSDAP geworden (Mitgliedsnummer: 960057) und blieb dies bis Kriegsende 1945. Von 1933 bis zur Eingemeindung Hummelsbüttels in Hamburg fungierte Willi Gerckens als ehrenamtlicher Bürgermeister für Hummelsbüttel. 3) Von 1933 bis 1945 war Willi Gerckens zudem Mitglied der NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge). Dort bekleidete er das Amt des Ortsgruppenamtsleiters. Die NSV war mit „17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…) NS-Massenorganisation. (…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…).“4) Außerdem war Willi Gerckens von 1935 bis 1945 Mitglied der DAF (Deutschen Arbeitsfront). Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1935 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband „mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen‘ konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat.soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken.“5) Auch war Willi Gerckens von 1935 bis 1945 Mitglied im Reichskolonialbund und von 1934 bis 1945 im Reichsluftschutzbund. Und er war 1925 in den Kyffhäuserbund eingetreten, der in der NS-Zeit in den Reichskriegerbund übernommen worden war. Für seine 10jährige Mitgliedschaft in der NSDAP erhielt Willi Gerckens das Ehrenzeichen der NSDAP überreicht. Ab dem 1. Juni 1940 wurde Willi Gerckens Kriegsvertreter des zur Wehrmacht einberufenen Ortsgruppenleiters der NSDAP in Hummelsbüttel. Dieses Amt bekleidete er bis Kriegsende 1945. 6) Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war Willi Gerckens von 1945 bis 1948 in Hamburg interniert. Im Rahmen der Internierung wurde Willi Gerckens angeklagt und ihm der Prozess gemacht. In dem Urteil heißt es u. a. über Willi Gerckens NS-Aktivitäten: „Als Kriegsvertreter des Ortsgruppenleiters gehört der Angeklagte zur Gruppe A 4 (…) der Militärregierung. Der Angeklagte ist beschuldigt, während seiner Zugehörigkeit zum politischen Führerkorps gewusst zu haben, dass diese Organisation zu Handlungen verwendet wurde, die gemäss Art. 6 des Statuts des Internationalen Militärgerichts für verbrecherisch erklärt sind (…). Auf dem Gebiete der Judenverfolgung während des Krieges war dem Angeklagten lediglich die Kenntnis vom Zwang der Juden zum Tragen des Davidsterns nachzuweisen. Hierbei handelt es sich aber um eine staatliche oder polizeiliche Massnahme. Dass dem Angeklagten Tatsachen über eine Mitverantwortlichkeit des politischen Führerkorps für diese Massnahme bekannt waren, liess sich nicht feststellen. Das Leugnen einer entsprechenden Kenntnis seitens des Angeklagten erscheint bei seinem offensichtlich geringen Intelligenzgrad, bei der abseitigen Lage seiner Ortsgruppe und angesichts der Tatsache, dass der einzige dort seit 1942 wohnende Jude unbehelligt geblieben ist (…) nicht unglaubwürdig. Dass es Konzentrationslager gab und Personen, die sich ‚staatsfeindlich‘ betätigt hatten, dort festgehalten wurden, gibt der Angeklagte zu, gewusst zu haben. Dem bestreitenden Angeklagten war aber nicht nachzuweisen, dass er von der Mitwirkung des politischen Führerkorps bei der Verfolgung politischer Gegner, insbesondere von der Pflicht der politischen Leiter zur politischen Ueberwachung der Bevölkerung und zur Weitergabe von Anzeigen über politische Verfehlungen an den Kreisleiter sowie von der Zusammenarbeit der Kreisleitung mit der Gestapo Kenntnis gehabt hat. Die Erfahrung, dass die Ortsgruppenleiter diese Tatsachen im allgemeinen kannten, genügte dem Gericht angesichts der Persönlichkeit des Angeklagten und der oben erwähnten besonderen Verhältnisse nicht, um eine entsprechende Feststellung bei dem Angeklagten zu treffen.“ 7) Willi Gerckens wurde von der Spruchkammer Bielefeld freigesprochen. Als Entlastungspunkte wurden auch die Leumundszeugnisse - im „Volksmund“ als „Persilscheine“ bezeichnet -, die Willi Gerckens beigebracht hatte, berücksichtigt. Seinen 1932 erfolgten Eintritt in die NSDAP begründet Willi Gerckens „mit der damals katastrophalen wirtschaftlichen Notlage, insbesondere der Landwirtschaft. Er war seiner Zeit von dem propagandistischen Wirken der NSDAP beeindruckt worden, die eine allgemeine Besserung der sozialen Verhältnisse, jedem sein Recht auf Arbeit und der Früchte seiner Arbeit versprach, und vor allem, was Herrn Gerckens als Landwirt am meisten ansprach, der Landwirtschaft ein besonderes Lebensrecht zusicherte. (…).“ 8) Abschließend heißt es im „Fragebogen Action Sheet“ des Entnazifizierungsverfahrens, Bericht des Beratenden Ausschusses: „Gerckens ist anzusehen aufgrund seiner Tätigkeit als Ortsgruppenleiter und Ortsgruppenamtsleiter als Aktivist: Nicht tragbar in leitenden Stellungen der Behörde und der Wirtschaft“ (31.5.1948) 9) Der Fachausschuss im Entnazifizierungsverfahren entschied hingegen: „tragbar für die bäuerliche Selbstverwaltung. Keine Konten- und Vermögenssperre, keine Geldbuße. (26.12.1948).“ 10) Einstufung in Kategorie IV. Siehe dazu unter: https://www.hamburg.de/ns-dabeigewesene/4478998/5-belastungskategorien-entnazifizierung/" target="_blank">www.hamburg.de/ns-dabeigewesene/4478998/5-belastungskategorien-entnazifizierung/

Quellen:
1) Armin Clasen und Dr. Walter Rehders: Hummelsbüttel und Poppenbüttel. Geschichte zweier Dörfer und ihrer Höfe. Hamburg 1938, S. 161f.
2) Staatsarchiv Hamburg, Entnazifizierungsakte: 221-11 x 1435
3) Ebenda.
4) Marie- Luise Recker: NS-Volkswohlfahrt, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl., München 1998, S. 619.
5) Marie- Luise Recker: Deutsche Arbeitsfront, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl., München 1998, S.418f..
6) Staatsarchiv Hamburg, Entnazifizierungsakte: 221-11 x 1435
7) Ebenda.
8) Ebenda.
9) Ebenda.
10) Ebenda.
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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