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Karl Kaufmann

(10. Oktober 1900 Krefeld - 4. Dezember 1969 Hamburg)
NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter in Hamburg
Adresse: Harvestehuder Weg 10/ Duvenstedter Brook
Wirkungsstätte: NS-Verwaltungssitz Harvestehuder Weg 10, ab 1938 wurde der Sitz um das arisierte „Budge-Palais“ erweitert, Harvestehuder Weg 12
Fuhlsbüttler Straße 756, bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof, R 25, 153-3 und 162

Nach dem Besuch der Oberrealschule Elberfeld bei Wuppertal arbeitete Kaufmann als landwirtschaftliche Hilfskraft. Noch kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges wurde er im Jahr 1918 zur Armee eingezogen, kam aber nicht zum Einsatz. Daraufhin schloss er sich, enttäuscht wie so viele junge Männer, die sich als „zu spät Gekommene“ fühlten und nicht mehr ihrer „patriotischen Pflichterfüllung“ nachkommen konnten, paramilitärisch organisierten Rechten Freikorps an. Ab 1919 war Kaufmann im „Freikorps Marinebrigade Ehrhardt“.

Im Jahr 1921 trat er in die NSDAP ein und engagierte sich beim Aufbau der Partei im Rheinland; zudem beteiligte er sich 1923 am sogenannten Hitlerputsch in München. Im Jahr 1928 wurde er Gauleiter der NSDAP in Hamburg – hier sollte er die Partei festigen und sich selbst profilieren, da er immer wieder in Streitereien mit Parteikollegen geriet. In Hamburg hatten die Nationalsozialisten bei den Bürgerschaftswahlen 1928 ein Ergebnis von rund 2,2% erreicht.

Reinhard Otto schreibt in seinem Buch "150 Jahre Friedrichsberg. Von der Irrenanstalt zur Klinik im Wohnpark" über Karl Kaufmann u. a.: "Es gelang ihm in den folgenden Jahren, die Hamburger NSDAP; die SA sowie die anderen Parteigliederungen deutlich zu stärken. Im Jahre 1930 wurde er als Hamburger Abgeordneter in den Reichstag gewählt. Diese Funktion inklusive der damit verbundenen Zahlungen behielt er bis 1945. Bei den Wahlen zur Bürgerschaft am 27. September 1931 bekam die NSDAP 202.506 Stimmen, was einem Stimmenanteil von 26,25% entsprach. Die von Kaufmann in enger Abstimmung mit Joseph Goebbels auf Linie gebrachte Hamburger NSDAP erreichte dann bei den nächsten Bürgerschaftswahlen am 24. April 1932 schon 31,23% und war damit nach dem Anteil der Wählerstimmen auf Augenhöhe mit der SPD." 1)

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Kaufmann am 16. Mai 1933 zum Reichsstatthalter in Hamburg. Der Vater von zwei Töchtern (geboren 1929 und 1935) vereinte eine große Machtfülle auf seiner Person, NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter, „Führer“ der Hamburger Staats- und Gemeindeverwaltung, Reichsverteidigungskommissar im Wehrkreis X und ab dem 30. Mai 1942 das Amt des Reichskommissars für die Seeschifffahrt. Systematisch baute er ein eigenes, teils undurchsichtiges, sich und seine Unterstützer willkürlich bedienendes Herrschaftssystem in Hamburg auf. Er erklärte mal kleinste Verwaltungsentscheidungen zur Chefsache und nahm Entscheidungen seiner Verwaltung zurück. In wöchentlichen Bürgersprechstunden nahm er sich für Teile der Bevölkerung Zeit. Reinhard Otto dazu: "Mit den dort von ihm spontan getroffenen Verfügungen setzte er sich des öfteren über bereits existierende Verwaltungsentscheidungen hinweg. Dies führte zu einer permanenten Verunsicherung der damaligen Beamtenschaft (...). Innerhalb der Hamburger Bevölkerung erreichte er mit dieser speziellen nationalsozialistischen Form des Sozialpopulismus einen spürbaren Grad an Beliebtheit." 2)
Rücksichtslos ging Kaufmann gegen sogenannte politische Feinde vor. Er ließ das KZ Fuhlsbüttel, das auch als „Privat KZ“ des Reichsstatthalters bezeichnet wurde, errichten und war für die dortige Folter, den Terror als auch für die Morde verantwortlich. Die nationalsozialistische Politik der Verfolgung wurde unter Kaufmann bedingungslos umgesetzt, 1941 erfolgte erste Deportierungen von Juden aus Hamburg. Auch das KZ Neuengamme unterlag seinem Einflussbereich.

Mit der "von ihm initiierten Gründung der 'Hamburger Stiftung von 1937 [kontrollierte] er ein Finanzsystem (..), das außerhalb des regulären städtischen Haushalts angesiedelt war. Das Stiftungsvermögen setzte sich aus öffentlichen Mitteln, Zwangsabgaben städtischer Betriebe sowie Spenden aus der Hamburger Wirtschaft zusammen. Auch sogenannte Arisierungsspenden, als 'freiwillige' Zahlungen von Personen oder Firmen., die von der Arisierung jüdischer Unternehmen profitiert hatten, vermehrten das Stiftungskapital. (...). Die Erlöse der Stiftung verwandte Kaufmann zur Absicherung seiner Alleinherrschaft. Neben der kontinuierlichen Finanzierung der Parteigliederungen der Hamburger NSDAP und Zuwendungen an führende Parteifunktionäre wurden die Gelder gezielt für Aktionen im sozialen Bereich eingesetzt. Besonders die hierdurch finanzierte 'Weihnachtsspende des Reichsstatthalters für Bedürftige' wurde auch poppagandistisch ausgeschlachtet." 3)  

Zum Ende des Krieges 1945 ließ Kaufmann zu, dass Hamburg den britischen Alliierten am 3. Mai 1945 kampflos übergeben wurde. In der Nachkriegszeit sind viele Legenden um Kaufmann als „Retter der Stadt“ entstanden, die seine Verbrechen während des Nationalsozialismus zu Unrecht relativierten. Kaufmann wurde am 4. Mai 1945 verhaftet und bis 1948 interniert. "Aufgrund von Verletzungen, die er bei einem Autounfall 1946 erlitten hatte, wurde er 1950 auf der Basis eines medizinischen Gutachtens als verhandlungsunfähig eingestuft. Das entscheidende, am 27. September 1949 verfasste Gutachten, das Karl Kaufmann ein beginnendes Siechtum und damit einhergehende vollkommene Verhandlungsunfähigkeit attestierte, wurde von Prof. Hans Bürger-Prinz, dem damaligen Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik des Universitäts-Krankenhauses Hamburg- Eppendorf, erstellt. Nachdem Kaufmann kurzzeitig noch einmal in Haft genommen worden war, wurde im Jahre 1951 sein Entnazifizierungsverfahren mit der Einstufung als 'Minderbelasteter' beendet." 4)  Auch erhielt er die Freigabe seines Vermögens.

Wegen Kaufmanns 1940 für "repräsentative Zwecke" gepachteten 400 Hektar-Staatsgutes Duvenstedter Brook wurde nach der Befreiung vom Nationalsozialismus prozessiert. Der Prozess endete mit einem außergerichtlichen Vergleich.5)

Die Historikerin Jessica Erdelmann hat sich mit Kaufmanns Vermögen beschäftigt und dabei auch mit der Immobilie "Duvenstedter Brook" . So schreibt sie in ihrem Aufsatz „Praktisch kein Vermögen besessen‘. Der Umgang mit den Vermögenswerten NS-belasteter Funktionseliten am Beispiel des ehemaligen Hamburger NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann“ : „Er nutzte die Möglichkeiten, die sich ihm aufgrund seiner Machtfülle boten, aber nicht nur dazu, seine Günstlinge materiell zu unterstützen und seine Herrschaft zu stabilisieren. Auch er selbst profitierte erheblich von seiner Position im NS-Herrschaftsgefüge. Ein Beispiel dafür ist die Aneignung mehrerer Villengrundstücke in einer der feinsten Gegenden Hamburgs, die er zum Machtzentrum der Hamburger Nationalsozialisten ausbaute.“6)  

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde Kaufmanns Vermögen nicht angetastet, obwohl die Alliierten bei Funktionären des NS-Regimes Vermögenskontrollen durchführten und es bei vielen zur Vermögenssperre (Blockierung) kam. Doch, wie Jessica Erdelmann schreibt: „Zum Zeitpunkt der Blockierung wies Kaufmanns Konto kein nennenswertes Guthaben mehr auf. Nach Aussage seiner Ehefrau, Else Kaufmann, habe er ‚praktisch so gut wie kein Vermögen besessen (…). Das, was noch vorhanden sei, gehöre ‚im Wesentlichen ihr‘. Zu den angegebenen Vermögenswerten zählte auch ein Pachtvertrag über den Duvenstedter Brook. Dieses Naturschutzgebiet (…) hatte Karl Kaufmann 1939 zunächst nur zu Jagdzwecken, später zur landwirtschaftlichen Nutzung gepachtet und mit Staatsgeldern zu seinem Hof ausgebaut.

Die Tatsache, dass Kaufmann den Pachtvertrag acht Monate vor Kriegsende durch einen neuen hatte ersetzen lassen, der seine Ehefrau als gleichberechtigte Pächterin auswies, legt die Vermutung nahe, dass die Pacht nicht der einzige Vermögenswert gewesen sein könnte, den Kaufmann rechtzeitig auf seine Ehefrau übertragen hatte. Ein solches Vorgehen scheint unter NS-belasteten Personen gängige Praxis gewesen zu sein. Deshalb hatte die Blockierung des Vermögens eines Ehepartners regelmäßig die Sperre desjenigen des anderen zur Folge. (…) Auch Else Kaufmanns Vermögenswerte wurden deshalb blockiert. (…) Da Else Kaufmann auf ihrem Hof nach der Räumung ihrer Villa im Harvestehuder Weg im Vergleich zum Rest der Hamburger Bevölkerung sehr großzügig leben und auch weiterhin das Privileg einer Selbstversorgerin genießen konnte, wurde der Pachtvertrag zu einem öffentlichen Skandal. (…) Der fortbestehende Pachtvertrag von Else Kaufmann bedeutete einen materiellen Vorteil, der nur aus der Stellung ihres Ehemannes im nationalsozialistischen Herrschaftssystem resultierte (….)“, so Jessica Erdelmann. 7) Auf Druck der Hamburgischen Bürgerschaft auf den Senat „gelang es wenigstens, Familie Kaufmann mit Genehmigung der britischen Militärregierung im April 1946 durch das Wohnungsamt auszuweisen. Der Pachtvertrag selbst blieb (…) jedoch unberührt.“ 8)

Schließlich endete „der Prozess vor dem Pachtamt (…) am 1. April 1950 mit dem Urteilsspruch, dass der Pachtvertrag aufgrund des fehlenden Nachweises einer Genehmigung des Innenministeriums nichtig sei. Die Parteien einigten sich auf einen außergerichtlichen Vergleich. Das noch verbliebene Inventar erhielten die Kaufmanns im Oktober 1950 zurück. Von den im Dezember 1945 gemeldeten Vermögenswerten waren ihnen nur diese geblieben.  Doch (…) war das Vermögen nicht durch Übergriffe seitens der Behörden oder Treuhandgebühren aufgezehrt worden. Vielmehr konnten die Kaufmanns mehrere Jahre von ihren im Nationalsozialismus akkumulierten Vermögenswerten weiterleben, weil es gesperrten Vermögensinhabern erlaubt war, pro Haushalt monatlich bis maximal 300,- RM von ihren Konten abzuheben. Geschrumpft war das Vermögen Kaufmanns vor allem deshalb, weil sie die Kosten, die für den Erhalt des Hofes notwendig waren, allein bestreiten mussten, ohne wie zuvor auf die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die zahlreichen Vergünstigungen sowie Zuwendungen zurückgreifen zu können. Die größten Einbußen hatten sie jedoch – wie andere Besitzerinnen und Besitzer von Geldvermögen auch – mit der Währungsreform im Juni 1948 erlitten“9).

Kaufmann engagierte sich erneut politisch in rechtsradikalen Kreisen und kam abermals 1953 kurzzeitig in Haft. Obwohl gegen ihn mehrere Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet wurden, kam es nie zum Prozess.

Ab 1959 fungierte Kaufmann als Teilhaber eines Versicherungsunternehmens seines früheren stellvertretenden Gauwirtschaftsberaters Otto Wolff. Kaufmann lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1969 in Hamburg – ohne finanzielle Sorgen.
Text: Katharina Tenti/Rita Bake

Siehe zu Karl Kaufmann auch in dem Aufsatz von Joachim Szodrzynski zum Thema Entnazifizierung hier in der Täterdatenbank auf Seite 17f. www.hamburg.de/contentblob/4462240/data/aufsatz-szodrzynski.pdf

Quellen u.a.:
Frank Bajohr, Hamburgs „Führer“: Zur Person und Tätigkeit des Hamburger NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann (1900–1969), in: Ders./ Joachim Szodrzynski (Hrsg.): Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschung en, Hamburg 1995, S.59-91; Forschung sstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.): Hamburg im „Dritten Reich“, Göttingen 2005; Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 2011.
1) Reinhard Otto: 150 Jahre Friedrichsberg. Von der Irrenanstalt zur Klinik im Wohnpark. Hamburg 2015, S. 105.
2) Reinhard Otto, a. a. O., S. 108.
3) Reinhard Otto, a. a. O., S. 197.
4) Reinhard Otto, a. a. O., S. 109.
5) Vgl: Maike Bruhns, Thomas Krause, Anthony McElligott, Claudia Preuschoft, Axel Schildt, Werner Skrentny: "HIer war doch alles nicht so schlimm". Wie die Nazis in Hamburg den Alltag eroberten. Hamburg 1984, S. 139.
6) Jessica Erdelmann:„Praktisch kein Vermögen besessen“ Der Umgang mit den Vermögenswerten NS-belasteter Funktionseliten am Beispiel des ehemaligen Hamburger NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann, in: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) 2019. S..79.
7) Jessica Erdelmann, a. a. O., S. 81
8) Jessica Erdelmann, a. a. O., S. 84ff.
9) Jessica Erdelmann, a. a. O., S. 87.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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